Kein Kaktus auf dem Gästeklo

Es ist kurz vor Schlafenzeit, die Zeit, wenn ich dem Mama-Pseudo-Feierabend entgegenhibble, mir vorstelle, was ich denn alles schönes erledigen könnte, wenn die drei Kinder Keule, Nudel und Knopf im Bett liegen und schlafen. (Ja, ich nenne meine Kinder wirklich so. Ja, auf der Geburtsurkunde stehen natürlich andere Namen)

Knopf ist schon sauber und krabbelt um meine Füße, gerade hebe ich die Nudel vom Wickeltisch, gebadet, gekämmt, Zähne geputzt. Keule steht daneben und mein so verschmitzt:

„Mama, ich sag jetzt manchmal Kaktus, also statt Kaka, wenn ich das muss.“

Ich erstarre und starre. Nudel windet sich. Ist sicherlich nicht so bequem. Mein Kopf rattert. Kaktus? Warum um alles in der Welt Kaktus? Es sind doch Ferien, da kann er mit seinem besten Freund doch gar nicht auf so absurde Ideen kommen.

„Die Oma sagt das auch. Und Pinguin, wenn ich Pipi muss.“

Es brodelt in mir. Ich spüre es aufsteigen, klein, gehässig, ein bisschen verzweifelt – und schwupps ist es raus. „Ich bin aber nicht die Oma.“ Und dann stelle ich die Nudel ab. Alle Kinderaugen groß auf mich. Jetzt bloß nichts falsch machen. Denn die Schwiegermutter anzugreifen vor den Kindern geht gar nicht – selbst wenn – aber nein, geht eben nicht, können die drei ja nichts dafür. Schnell also auf das eigentliche Problem.

„Warum den Kaktus. Das ist eklig, da macht man doch keinen Kaktus, das tut doch weh. Und die armen Pinguine, ich mag Pinguine, ich will doch nicht jedes Mal, wenn ich einen Pinguin sehe an Pipi denken müssen.“

Keule merkt, ich finde das nicht so lustig, wie die Oma. Ganz und gar nicht. Kein bisschen. Antilustig.

„Ja, ich weiß, ich sag das ja nur jetzt, also nicht zu Hause, nur bei der Oma. Weil die das auch sagt.“

Bäh – mache ich innerlich. Und gebe mich noch nicht geschlagen. Es geht ums Prinzip. Um Sprache im Großen und Ganze. Um Wörter. Für Dinge. Und Wörter für andere Dinge. Eben. So.

„Ich find das blöd, egal wer das sagt. Warum muss man da immer andere Wörter für nehmen. Das ist, was es ist. Pipi und Kaka und manchmal auch Pisse und Scheiße (ja, ich hab das Sch-Wort gesagt. Vor allen drei Kindern). Aber Keine Pinguine und Kakteen. Genauso wie meine Oma, die Bach und Haufen sagt.“

Ich murre noch etwas vor mich hin und er putzt sich die Zähne. Die Wörterneubesetzung aber lässt mich nicht los. Gerade für Ausscheidungen scheinen die Menschen seit je her Wege gefunden zu haben, diese hässlichen Dinge anders zu benennen. Genauso wie für Geschlechtsorgane. Oder Sex selbst. Ob Groß und Klein, Lulu und Lala, Stinki, Pups, was weiß ich was in den verborten Gehirnen mancher Vertreter der Gattung Homo Sapiens noch für Ausdrücke für Urin und Kot entstanden sind, es ist und bleibt eben doch, was es ist. Genauso wie bei Geschlechtsorganen und Sex. Das wird nicht neutraler, wenn ich es neu benenne. Es hat sich ja auch niemand davon ablenken lassen, dass die Hauptschule in Rheinland-Pfalz seit einigen Jahren Realschule Plus heißt. Es ist immer noch die Hauptschule, mit den gleichen miesen Vorurteilen und den gleichen miesen Berufsaussichten.

Ja, der Euphemismus ist eine großartige literarische Figur. So können wir entschlafen sagen, statt gestorben und Freitod statt Selbstmord. Oder eben auch Asylkritiker statt Ausländerfeind. Was, wie ich jetzt darauf komme? Von Kakteen auf Nazis? Weil der Gedanke, etwas schönzureden, um es gesellschaftstauglich zu machen hier wie da der gleiche ist. Und beides ist in dem Fall braun – und Scheiße.

Dabei weiß ich doch längst, dass Kakteen auf dem Klo nichts verloren haben. Seit nämlich mein Mann, damals noch mein frischer Freund, bei meiner Mutter aufs Gästeklo ging und prompt die ganze Ladung Kakteen von der Fensterbank gewischt hat. Autsch. Auch wenn die Vorstellung von Kaktusstacheln in meinem Darm noch wesentlich unangenehmer ist.

Meine letzte Hoffnung ist, dass Keule schnell aus der Kaktus-Pinguin-Phase wieder raus ist. Spätestens, wenn er es lustiger findet, Redewendungen wie „ich geh mal ein Ei legen“ zu verwenden. Da muss ich ihn nur zu dem Opa schicken. Schöner Scheiß. Äh. Kaktus.

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2 Kommentare

  1. Hallo Eva,
    über deinen Artikel mit dem Kaktus musste ich sehr schmunzeln.
    Wir haben ein ähnliches Problem (wenn man daraus eins macht). Die Eltern unserer 2. Enkeltochter sagen für alles was die Kleine aufs Töpfchen macht AA.
    Wir benennen es Pipi und Kaka. Bei uns geht die Kleine, die von mir oft Klammeräffchen genannt wird oder Schatz (Sie umklammert beim Tragen immer meine Hüften und zieht ihre Beine ganz toll an, wenn ich sie runter setzen will) mit ihren 21 Monaten auch immer aufs Töpfchen oder Toilette (mit Kindersitz)ohne groß Theater zu machen. Zu Hause weigert sie sich manchmal. Meist gehe ich als Oma dann auch gleich aufs Klo, da freut sie sich immer.
    Bin mal gespannt ob sie irgendwann auch mal andere Begriffe dafür sagt.
    Ja und was die Geschlechtsteile betrifft nennen wir sie ihr auch schon richtig beim Namen.
    Sie plappert sowie so alles nach und versteht auch alles was man sagt; manchmal muss man schon ganz schön auf seine Wortwahl und Ausdrücke aufpassen.
    Dir noch viel Spaß bei den Wortkaubereien mit deinen Dreien.
    Ein schönes Wochenende
    LG Rose

    1. Liebe Rose. Danke für deinen Kommentar. Ich verzweifle eben, wenn ich sieben Jahre bemüht bin, meinem Kind die korrekten Begriffe beizubringen und ein Oma-Besuch macht alles hin. Aber das muss ich wohl mit Humor nehmen oder so. LG

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