Juli Zeh – Spieltrieb

„Spieltrieb“ ist ein Buch, das dicker erscheint, als es ist. Nicht dass es am Ende doch weniger als 565 Seiten wären, doch sie lesen sich wie gefühlte 100. So flüssig ist der Text, so leicht fand ich beim Lesen hindurch. Dabei ist das Thema knallhart.
Vierzehn Jahre ist Ada, als sie als Neue in die neunte Klasse eines Gymnasiums kommt. Und lange bevor Bellas das konnte, ist Ada schon anders als alle anderen. Sie kann die „Prinzessinnen“ nicht ausstehen, die in erster Linie doch nur aufs Aussehen bedacht sind und daneben gerne so tun, als könnten sie mit dem Rest der Welt auch noch was anfangen. Ada durchschaut sie. Sie ist wie der Teil in jedem von uns, der unten steht und doch herabblicken kann, der keine Bestätigung braucht im Moment seines innerlichen Triumphs über der Tatsache, dass er einfach besser ist. So arrogant das klingt, Ada zeigt Wahrheit darin. Und sie ist arrogant. Sie glaubt über allem triumphieren zu können, denn sie hat es bereits geschafft, jegliche Gefühle zu verdrängen. In allem sucht sie spock-gleich die Logik, weil sie dadurch ihr Leben annehmen kann, wie es ist, und es ist ein trauriges.
Halbweise, alleinerziehende Mutter, das Geld fehlt, Außenseiterin, wie im Bilderbuch. Den Jungen, der sie aufrichtig liebt, vergrault sie, indem sie ihm einen bläst. Er ist noch nicht bereit dazu, ein Romantiker, das Gretchen, das an Liebe glaubt. Nichts, was Ada interessieren könnte. Stattdessen heftet sie sich typgerecht an den Bad Boy Alev. Kitsch über Kitsch, wenn da nicht mehr wäre. Die subtilen Hinweise, das drohende Crescendo in der Verführung des Sportlehrers. Noch mehr Kitsch? Etwa als der Lehrer Smutek und Ada erkennen, dass sie sich lieben, fernab dessen, was der brave Lehrer als erlaubt denken will. Ein Lehrer und eine minderjährige Schülerin. Doch es beginnt kaltblütig, als geplante Erpressung, die erst durch Tote, wenn auch nicht durch Mord, möglich ist. Das Klischee macht den Text leichtfüßig, das Tiefere dahinter gibt ihm Verworrenheit.
„Spieltrieb“, der Titel ist Programm, das Spiel mit dem Leben, mit allen Regeln, mit den Menschen und nicht zuletzt mit der Seele und der Frage danach. In Wahrheit konnte ich beim Lesen kein Klischee erkennen, war wunderbar gefangen in dieser Welt, die Juli Zeh geschaffen hat, in der Geschichte um Ada, die Spielsüchtige. Juristin ist Juli Zeh, wie Goethe es war, und folgt ihm im Fauststoff. „Spieltrieb“ hat mich nicht mehr losgelassen, beschäftigt mich noch heute, fünf Jahre, nachdem ich es gelesen habe. Und ich kann es jedem nur empfehlen.

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1 Kommentar

  1. Auch ich fand das Buch toll, wie alles von Juli Zeh, was ich bisher gelesen habe. Eine eigenwillige, bildreiche Sprache machen ihre Bücher so flüssig und lesenswert. Und die ungewöhnlichen Heranwachsenden entsprechen ja gerade nicht den üblichen Klischees.

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