Go Set a Watchman – Harper Lee

Bei Blogg dein Buch habe ich dieses Mal Go Set a Watchman gefunden und den 278 Seiten starken Roman, veröffentlicht gerade bei William Heinemann, von Harper Lee mit großem Interesse verschlungen.

Wer die Nachtigall stört (original: To Kill a Mockingbird) von Harper Lee ist eines dieser Bücher, das gerne zum Literaturkanon amerikanischer Literatur gezählt wird. In einer Linie mit anderen Büchern, die die Diskriminierung von Afroamerikanern kritisieren, ist die Thematik nicht nur in Amerika unter aktuellen Debatten brisant, wie schon vor fünfzig Jahren, sondern gewinnt auch im Zuge der Anschläge und Proteste gegen Asylbewerberheime in Deutschland eine einschlagende Bedeutung.

Scout ist erwachsen geworden, 26, und lebt mittlerweile in New York. Sie besucht ihre Heimatstadt, ihren gealterten Vater Atticus, ihren (Jugend)Freund Henry, ihre Familie, ihre Bekannten, die Welt ihrer Kindheit. Während sie mit dem Gedanken spielt, Henry zu heiraten, schlendern ihre Gedanken immer wieder in ihre Jugend, als sie mit der Rolle der Frau konfrontiert wurde, gegen die sie immer noch rebelliert. Eines Abends folgt sie Atticus und Henry auf eine Versammlung, und ihre Welt bricht zusammen. Scout ist entsetzt und sie fühlt sich hoffnungslos verloren zwischen denen, die sie liebt und gleichzeitig verabscheut.

Nein, ich habe To Kill a Mockingbird nicht gelesen – noch nicht. Es spielt Jahre vor Go Set a Watchman, als Scout und ihr Bruder noch Kinder sind und ihr Vater als Anwalt einen Schwarzen verteidigt. Für alle aber, die das Buch kennen, sind die Veränderung beziehungsweise die neuen Ansichten von Atticus mit Sicherheit auch etwas erschreckend. Wie Scout einer idealistischen Vaterfigur beraubt wird, mag es auch den Lesern von To Kill a Mockingbird gehen – doch das bleibt Spekulation. Sicher ist aber, dass Scout ins Bodenlose fällt, als ihr Vater Dinge sagt und vertritt, die sie für unvertretbar hält. Ihre ganze Weltsicht, die sie ja von ihm gelernt hat, bricht gerade deshalb so total zusammen, dass sie sogar bereit ist, die Schuld bei sich selbst zu suchen.

Dabei kommt das dicke Ende langsam. Ausführlich, detailliert und dabei unterhaltsam und spannend führt der Roman durch Scouts Heimkommen und die Begegnungen mit ihrer Familie, darin eingesponnen immer wieder längere Passagen über Kindheitserinnerungen, die sich manchmal erst mit dem letzten Abschnitt als hilfreich erweisen, immer aber Scouts Charakter tiefer werden lassen und dem Leser ihre Welt näher bringen.

Der Wechsel von Gegenwart und Vergangenheit lässt den Leser tief eintauchen und bereitet ihn vor, denn schnell wird Scouts Naivität klar, die sie gerne zu verstecken versucht und gleichzeitig ihr Selbstbewusstsein, das sie durch ihre Lebensgeschichte und Bildung erhalten hat. Ihre Sicht wird klar, die Intention des Romans, gerade diese Sicht als richtig zu bewerten auch. Die Diskriminierung von Schwarzen, die im Buch als „Negros“ und auch (von negativ gezeichneten Figuren) „Nigger“ bezeichnet werden wird in vielen Facetten gezeigt, ohne dass tatsächlich eine Auseinandersetzung vorkommt. Es geht nicht um Übergriffe, geschleuderte Steine oder brennende Hütten, sondern um das Gedankengut vieler, mancher, eines einzigen und was das anrichten kann.

In bewegenden Szenen geht der Roman auf die Spiegelung dieses Denkens in der Begegnung von Scout mit ihrer alten Haushälterin und Mutterfigur auf. Der Hass gegen die „Anderen“ zeigt sich im Gegenhass, in der tiefen Abscheu gegenüber denen, die sie erst zu den „Anderen“ machen. Beeindruckend hierbei sind auch Scouts Diskussionen mit ihrem Onkel, Henry und ihrem Vater, die je unterschiedliche Sichtweisen demonstrieren, unterschiedliche Typen, die alle ihren Teil an der Unterdrückung beitragen.

Das Ende des Romans mag den einen nicht drastisch genug sein. Es gibt keine große Lösung. Scout wird wirklich erwachsen, löst sich, überwindet die persönliche Apokalypse und verliert zum Teil ihren Vater, gewinnt aber sich selbst, ihren eigenen Wachmann.

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