Ginny Moon hat einen Plan – Benjamin Ludwig

Ginny Moon hat einen Plan von Benjamin Ludwig ist im September mit 384 Seiten bei Harper Collins erschienen und irgendwas hat mich daran besonders angesprochen. Ich kann es gar nicht genau benennen. Ja, es geht um die Frage, was Familie ist und wer eigentlich „Mutter“, es geht um ein ganz besonders junges Mädchen und allein deswegen ist das Buch bei mir goldrichtig angekommen. Doch ich weiß noch genau, wie ich vor dem Bloggerbereich von Harper Collins sah und nicht mit dem Kopf angefragt habe, sondern mit dem Bauch. Danke an der Stelle an den Verlag für mein Exemplar. Übersetzt wurde der Jugendroman von Edith Beleites.

Für Ginny Moon vielleicht undenkbar, so eine Bauchentscheidung. Sie ist vierzehn und lebt bei Pflegeeltern. Dort geht es ihr gut, sie besucht eine Klasse für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, denn Ginny ist nicht, wie viele andere. Es wird im Roman nie genau bezeichnet, doch ich würde als Laie sagen, dass Ginny Autistin ist. Zum Frühstück braucht sie genau neun Trauben, ein Tagesablauf funktioniert nur, wenn sie eine Plan hat. Ginny versteh alles wortwörtlich und nimmt ihre Umgebung auf spezielle Art und Weise war. Als Ich-Erzählerin ist das sehr faszinierend, weil ich immer wieder überlege, was Ginny aus meiner Perspektive gerade erlebt und wie sie alles versteht. Das erweitert ungemein mein Blickfeld und lässt mich generell über meine Wahrnehmung nachdenken.

Einsame Perspektive

Doch das allein ist natürlich nicht der Clou der Geschichte, es bildet allerdings den Rahmen, denn ein anderes Kind hätte vollkommen unterschiedlich reagiert und vor allem kommuniziert. Ginny wird bald eine große Schwester, denn ihre Herzensmutter ist schwanger. Doch eigentlich will Ginny nur ihre Babypuppe, die noch bei ihrer Mutter sein muss. Das Bewusstsein, für diese Babypuppe sorgen zu müssen, ist so umfassend, dass es Ginnys einziger Gedanke wird. Jeder ihre Schritte zielt darauf ab. Was für mich als Leserin relativ einfach zu verstehen war, wird im Roman als großes Geheimnis aufgebauscht. Aus einem einzigen Grund: Die Erwachsenen hören Ginny nicht richtig zu. Das macht es für mich plausibel und zeigt gleichzeitig, wie kategorisierend gerade die Pflegeeltern und die Psychiaterin von Ginny sind. Für sie ist Ginnys Wahrnehmung verfälscht, darum glauben sie ihr lange nicht.

Erwachsene sind einfach?

Auch danach hadere ich als Leserin vor allem mit diesen Erwachsenenfiguren. Weil ein Problem erkannt, aber abgetan wird. Weil Ginny ausgeklammert wird. Aus ihrer Perspektive auf eine ganz andere Weise, als aus meiner. Doch gerade das ist für sie ausschlaggebend. Sie fasst einen Plan, der mehrere Leben nachhaltig beeinflusst. Schnell wird dem Leser klar, dass Ginny dabei in mehrfacher Hinsicht ein Dreh- und Angelpunkt ist, aber durchweg unterschätzt wird. So, dass es mir fast etwas zu viel wurde. Überforderte Mutter, überforderte Pflegeeltern, überforderte Psychiaterin und die Frage, die mich irgendwann umtrieb, wer denn entscheidet, welche Überforderung ok, und welche es nicht ist. Der Roman versucht da tiefschichtig zu werden, Fehler auf vielen Seiten zu zeigen und lässt mich rätselnd zurück. Rätselnd, weil das Buch gut ist, faszinierend und bewegend.

Ginny Moon und ihre Welt – bewegend mit einem Aber
Die Sache mit dem Baby

Und jetzt kommt das große Aber. Denn Ginnys Selbstdefinition als eine „Mutter“ wird nicht kompensiert und in neue Bahnen gelenkt, sondern übertragen. Der tiefe Grundsatz des Romans ist, dass Mütter „gut“ zu sein haben – nicht, dass es leicht ist, eine gute Mutter zu sein (das rechne ich dem Roman hoch an). Dennoch scheint es gerade für Ginny der Lebenszweck geworden zu sein, eine Rolle als Mutterfigur anzunehmen. Dass ihre Pflegemutter nach der Geburt des Babys zu einer Glucke mutiert, die das Baby ständig von Ginny fernhält, finde ich dabei auch schwierig. Das leibliche Kind wird vor das Pflegekind gestellt, der „Mutterinstinkt“ vor eine Annäherung. Plausibel vielleicht, aber mir fehlen die Alternativen. In der Essenz wird Ginny Moon hat einen Plan nämlich fast zu einer Identitätskrise, weil ein Baby fehlt; eine, dir nur durch ein Baby gerettet werden kann. Und das geht auf Dauer schief.

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