Fremde Heimat – heimatliche Fremde – Das Motiv des Fremden in Michael Peinkofers ‚Tote Helden‘

Ich bin wirklich froh, an der tollen Blogaktion zu Tote Helden von Michael Peinkofer teilnehmen zu dürfen. Der Fantasyroman aus dem Piper Verlag mit 528 Seiten ist ein fesselnder Auftakt. Ich freue mich schon auf die anderen Beiträge. Die Bücherkrähe beispielsweise wird etwas zu religiösen Motiven aufzeigen, Piranhapudel nimmt sich das Schicksal vor, auf Biblometasia werdet ihr das Lektorat zum Buch kennenlernen. Besonders freue ich mich auf den Bericht von der Lesung in Leipzig, der auf Literaturschock erscheinen wird und auch auf das Gespräch mit dem Autor selbst auf Hysterika bin ich sehr gespannt.

Der Fahrplan (Grafik: Suse von Literaturschock mit dem Buchcover von Piper)

Tote Helden ist der Auftakt zu einer fantastischen Reihe. Eine Rezension könnt ihr schon bei Cindy und Jürgen lesen, auch ich werde in den nächsten Tagen verraten, wie mir das Buch gefallen hat. Verraten kann ich euch aber schon, dass ich sehr gefesselt war und die unterschiedlichen Handlungsstränge eine wunderbare Symbiose ergeben haben. Schnell habe ich ein Auge auf das Motiv des Fremden geworfen.

fremde Furcht

Als literarisches Motiv ist das Fremde zunächst etwas Furchteinflößendes. Es ist unbekannt und unberechenbar. Die mittelalterliche und barocke Literatur sieht im Unbekannten gerne einen Beleg für satanistische Einflüsse. Das Fremde und das Unerklärbare wurden vermischt. Wie Kräuter gegen Gebrechen helfen konnten, war nicht nachvollziehbar. Alles, was gegen das kirchlich Fassbare verstieß, wurde als teuflisch angesehen. Hexenverfolgung und ein Krieg gegen alles Andere war die Folge. Das zeichnete sich auch in Kreuzzügen und der Allmacht der Kirche ab. Auch heute noch muss das Fremde schnell als Tremendum, als das Furchteinflößende herhalten. Was wir nicht kennen, verstehen wir nicht. Und viele machen sich leider nicht die Mühe, über den Tellerrand zu schauen. „Fremd“ bedeutet dabei nicht nur eine räumliche oder kulturelle Trennung. Gerne wird so getan, als wären Weiblichkeit und Männlichkeit einander fremd. Unbekanntes gibt es auch wenn wir uns die vertikalen sozialen Schichten anschauen. Das Leben eines Managers ist für einen Arbeiter absolut fremd und anders herum. Noch dazu kommen Gedanken, Vorstellungen, Einstellungen, die Brüder zu Fremden machen können. Auch eine der Figuren in Tote Helden, Ikerón, lernt das direkt zu Beginn des Romans kennen.

Obwohl er die meisten dieser Leute seit seiner Geburt kannte, kamen sie ihm in diesem Moment wie Fremde vor – wohl weil ihre Blicke die von Fremden waren. (Tote Helden, S. 11)

Fremde und Distanz sind nicht nur räumlich zu verstehen (Foto: Twighlightzone / pixabay.de)
Ebenen des Fremden

Das Bekannte kann also jederzeit zum Fremden werden. Nicht nur die eigene Einstellung, sondern auch die, mit der uns begegnet wird, ist elementar dafür. Weil Ikerón anders ist, wird er für seine Freunde zum Fremden – und sie für ihn im nächsten Schritt. Fremde wird also auch erzeugt, wenn wir einen neues Aspekt des Gegenüber kennen lernen, der uns vorher nicht bekannt war und nun eine innere Distanz erzeugt. Anders herum kann Fremde genauso schnell durch eine Verbindung überbrückt werden.

Obwohl er weder den Kapitän noch irgendeinen seiner Männer in den letzten Tagen ohne Maske gesehen hatte, fühle er sich ihnen auf eine seltsame Weise verbunden. Gewissermaßen waren sie alle Ausgestoßene, jeder auf seine Art – und auch Lahad schien so zu empfinden. (Tote Helden, S. 57)

Fremde existiert also auf mehreren Ebenen. Es gibt die innere Distanz, die je nach Situation aufkommt oder abgelegt werden kann und die räumliche Fremde, die als Gegensatz zur Heimat verstanden wird. Allein die geografische Weite und oft einhergehende kulturelle Differenz reicht aus, um das Fremde in den Fokus wandern zu lassen. So ergeht auch Lorymar, einem Halbling, der von vielen doch nur „Zwerg“ genannt wird.

„Du bist kein Zwerg“, stellte der andere fest, „sondern ein Halbling, aus Westland, wie ich vermute …“
„… und fern der Heimat, genau wie Ihr, hoher Herr“, konterte der Narr beflissen. „Doch im Laufe der Jahrzehnte habe ich gelernt, diese Stadt und ihre Bewohner zu schätzen – und Ihr werdet das sicher auch. Euren Stolz jedoch lasst fahren, Sohn von Archos – denn während Ihr die Menschen des Ostens für Barbaren haltet, darf ich Euch versichern, dass sie auch Euch für Barbaren halten. Die Wahrheit liegt, wie so oft, im Auge des Betrachters.“ (Tote Helden, S. 121)

Das Fremde kann auch faszinieren und verkitscht werden (Foto: Ulli-Koeln / pixabay.de)
Faszinierend

Im Auge des Betrachters liegt aber auch, wie mit dem Fremden umgegangen wird. Denn neben der Angst vor dem Unbekannten existiert auch die Faszination. In der Romantik als Sehnsuchtsmotiv großgeworden beschreibt dieses Famosum für das Fremde beispielsweise die Orientalistik, die sich 1001 Nacht und dem „weißen“ Blick auf Asien, den Orient und Afrika ausdrückt. Im Grunde nichts anderes als positiver Rassismus, der einzelne Merkmale fremder Kulturen verkitscht. Orientalische Gewänder, afrikanischen Schmuck, asiatische Kampfkunst. Wenn der Halbling Lorymar als Zwerg bezeichnet wird, weil die weiße Herrschaftsrassen es nicht für nötig hält, zwischen den einzelnen „fremden“ Rassen zu unterscheiden, er aber gleichzeitig als königlicher Hofzwerg ein gewisses Ansehen genießt, ist das nichts anders.

Auch Jennara genießt gerade durch ihre Andersartigkeit einen besonderen Status. Die Astara betreibt ein Freudenhaus fernab ihrer Heimat. Welche Vorteile dies in ihrem Beruf mit sich bringt, welchen Nachtteil es bedeutet weiß sie ganz genau. Der Roman zeigt hier sehr gelungen, wie die Faszination für das Fremde mit Begierde, Besitz und Schönheit zusammenhängt. Denn das Fremde ist auch immer das Besondere, das Einzigartige. Es zieht uns an, wie Licht die Motten. Immer mit schwingt dabei auch Macht. Die Macht über das Andersartige und damit die Dominanz dessen, was der eigene Kopf für „normal“ hält. Das Fremde ist das, was nicht beherrscht werde kann, gerade deswegen zieht es uns immer wieder an. Und dann beißen wir uns die Zähne daran aus, es doch zu beherrschen.

Macht das Fremde zum Leitmotiv : Tote Helden (Foto: ich mit dem Buch von Michael Peinkofer/Piper)
Sehnsucht nach Heimat

Die Sehnsucht nach der Fremde und die Faszination für das Fremde kommen dabei nicht ohne den Heimatbegriff aus. Heimat ist mehr als nur Herkunft. Es ist der sichere Hafen, in dem es das Fremde im Prinzip nicht gibt. Dadurch wird Heimat genauso zum Ideal wie das Fremde in der Faszination. Ein unmögliches Ideal. Denn so wie die Fremde weder für Lorymar, noch Jennara je aufhört fremd zu sein und ihnen doch ein Zuhause geworden ist, existiert auch in der Heimat immer das Fremde mit.

„Du bist nicht die Einzige hier, die verstoßen wurde und die nicht zurückkann in ihre Heimat“ (Tote Helden, S. 344)

sagt Jennara. Und darin einen sich die Helden des Romans. In der Heimat die deswegen zur Fremde wurde, weil die Charaktere selbst Fremde wurden. Ob beängstigend oder faszinierend, im Grunde ist in Tote Helden alles durchzogen von Fremde, vom Unberechenbaren und Unerklärlichen. Und der Weg der Figuren führt sie klar dorthin, sich genau diesem Tremendum zu stellen. Erinnert ihr euch an Disneys Pocahontas?

Fremde Erde ist nur Fremd, wenn der Fremde sie nicht kennt (Farbenspiel des Winds aus Pocahontas)

heißt es dort im Farbenspiel des Winds. Tote Helden geht einen Schritt weiter. Es begreift Fremde als den Antrieb für alles. Das Erkennen der Fremde im Bekannten bildet nicht nur im Roman den Anfang, sondern wird zum Leitmotiv. Und das Erkennen des Bekannten im Fremden zum Schlüsselmoment.

„Du kennst mich eben – genau wie du sagtest.“ (Tote Helden, S. 521)

Gewinnspiel

Im Rahmen dieser Tour darf ich direkt an euch ein Print von Tote Helden verlosen. Das Buch lohnt sich auf jeden Fall! Verratet mir, was euch an „Fremdem“ fasziniert und verängstigt und schon seid ihr im Lostopf. Auch bei den anderen Teilnehmern könnt ihr je ein Buch gewinnen.

Teilnahmebedingungen

Teilnahme ab 18 Jahren, Versand nur nach Deutschland. Mehrfache Teilnahme auf einem Blog geht nicht.
Ein doppelter Gewinn (also hier und auf einem weitern Blog, der bei der Tour mitmacht) ist ausgeschlossen.
Auch der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Eine Barauszahlung ist nicht möglich.
Um auf Schreibtrieb zu gewinnen, müsst ihr die Frage per Kommentar beantwortet haben.

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7 Kommentare

  1. Ich bin eher vorsichtig gegenüber allem und jeden Fremden und immer mit Bedacht handle.
    Fremdes gibt einem immer eine gewisse Unsicherheit aber auch Neugier die man zusammen gut gefühlt unter Griff bekommen sollte und man sich eben nicht zusehr vom negativen lenken lassen sollte!

    VLG Jenny

  2. Hallo,
    ich reise für mein Leben gern und da gehört es auch dazu, fremde Menschen zu treffen und fremde Kulturen kennen zu lernen. Das finde ich einfach unglaublich faszinierend und hat schon so manches Mal meinen Horizont erweitert. Ich bin einfach neugierig auf das Fremde, andere. Aber dennoch bin ich vorsichtig, wenn mir etwas zu „fremd“, d.h. merkwürdig vorkommt und bin nicht nur vertrauensselig.
    Am Fremdesten war mir bisher Indien, seine Menschen, seine Kultur, der Lärm – aber nichtsdestotrotz faszinierend.

    lg, Jutta

  3. […] Prophezeiungen sind ein zweischneidiges Schwert, das vorsichtig behandelt werden muss. Sie dürfen nicht zu einfach sein oder zu wörtlich übersetzt werden können, sonst wird es der Geschichte an Tiefe fehlen. Martin selbst spielt gern mit ihnen, indem er sie auf unerwartete Weise wahr werden lässt. So ähnlich hat es das Orakel von Delphi auch bereits vorgemacht: Weissagungen sind eine Interpretationssache, besonders dann, wenn sie so kryptisch wie möglich vorgetragen werden. Mir macht es in den meisten Fällen sehr viel Spaß, die Charaktere dabei zu begleiten, wie sie immer mehr über ihre Visionen erfahren, wie sie diese selbst interpretieren und wie ich auch selbst die Prophezeiungen auslegen würde. So hat mich Rayan aus Tote Helden auf seine ganz eigene, spannende Weise durch die Geschichte begleitet. Im ersten Kapitel fing es an mit einem locker-leichten Lied über Seejungfrauen, das plötzlich düster und brutal wurde. Und bitterernst für all diejenigen, die ihr eigenes Dorf, das überfallen werden soll, in Rayans Lied wiedererkennen könnten. Ob es nun eine Stimmung ist, die von heiter auf betrübt oder gar aggressiv umschlägt, oder eine ernsthafte Warnung: Worte haben Macht. Ob sie nun Visionen sind, als solche erkannt werden oder nicht. Sobald die Worte da sind, kann die Idee nicht mehr verschwinden. Und mit einer Idee, mit lauter Befürchtungen und Ängsten, macht sich Rayan auf eine Reise durch Astray, auf ins Fremde und Ungewisse, über das ihr bei Schreibtrieb lesen könnt. […]

  4. Hallo und guten Tag ,

    eigentlich ist man doch immer irgendwo der/die/das Fremde erst einmal oder?
    Kleines Beispiel wie schnell und plötzlich man ein Fremder ist in den Augen von anderen werden kann.

    Ich bin von Hessen nach Franken/Bayern gezogen und plötzlich war ich eine Fremde….eine Preißin..und konnte auch die Uhrzeit nicht. Habe mir nie Gedanken gemacht….das andere da so plötzlich reagieren.

    Deshalb bin ich für alles fremde erst einmal total offen….

    LG..Karin…

  5. Hallo,

    ich mag das Fremde sehr, da es ja immer auch eine Chance auf etwas neues bedeutet und man neue Erfahrungen machen kann 🙂

    LG

  6. Hallo und vielen Dank für diesen tiefgründigen Beitrag zur Blogtour! Am Fremden fasziniert mich die Neugier, das Fremde kennenzulernen, und Wissbegier, meinen Horizont zu erweitern. Der Verstand sagt mir außerdem, dass ich keine Angst vor etwas haben muss, nur weil ich es nicht kenne. Aber natürlich kann ich mir gut vorstellen, dass das Fremde und Unbekannt auch verängstigt, einfach weil man es nicht greifen und kontrollieren kann.

    Viele liebe Grüße
    Katja

  7. […] das Motiv der Liebe bei mir 04.05. Thema Wölfe auf Phantastisch […]

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