Fliegende Zeilen – Mein Spiel des Jahres

Ich bin begeistert! Kleine Kreativblitze schießen durch meinen Kopf, Ideen überschlagen sich und doch kann ich sie kaum fassen. Wörter, mir fehlen Wörter, das auszudrücken, was mir vorschwebt. Die Zeit tickt, das Rieseln der Sanduhr wird zum gewaltigen Rauschen in meinen Ohren. Ich überprüfen noch einmal den Satz, die Aufgabe, dann muss ich meine Antwort geben. Ein Liebesgedicht aus „Nach Staub rochs und Palmin“ (Walter Höllerle). Ich zittere, die Wangen werden rot. „der Boden kalt und schwer, doch sah ich nur noch ihn, und das gefiel mir sehr“ ergänze ich auf meinem Block. Naja, nicht mein bestes – zugegeben. Aber in 90 Sekunden zu einer einzigen Zeile etwas „dazudichten“, das ist auch für mich nicht immer leicht. Die anderen lesen vor, wir sind zu viert und verteilen gegenseitig Punkte. Bis jetzt steh ich gut da, aber das Endergebnis zählt und es gibt noch ganz andere Zeilen und Aufgaben.
Fliegende Zeilen heißt das neue Spiel aus dem moses Verlag, das ich dank Blogg dein Buch testen durfte. Die Grundgeschichte: Auf dem Dichtertreffen sind die Gedichtzeilen durcheinandergeraten. Jetzt liegt es an den Mitspielern Krimi- und Liebesgedichte zu verfassen, Tragödien und Komödien zu entwickeln. Bedingung ist, dass die erste Zeile vorgeben ist und darauf aufgebaut wird. Ein Spiel wie für mich kleine Germanistin und Autorin gemacht. Drei bis sechs Spieler*innen können mitmachen. Bei zweien funktioniert die Bewertung nicht mehr und bei mehr Teilnehmern wird’s unübersichtlich. Wobei ich mir das Spiel auch gut für Gruppen vorstellen könnte. Statt Montagsmaler Verseschmieder.
Bei meinem Mann hat das Spiel erst mal keine Begeisterungssprünge ausgelöst. Er ist nicht so der Gesellschaftsspielefreund. Doch spätestens bei der Aufgabe „Wandeln Sie die Zeile zu einer PC-Fehlermeldung um“ hatte auch er Blut geleckt, denn es geht bei Fliegende Zeilen mitnichten darum, Goethe nachzueifern. Schnell wird klar, das Spiel macht Spaß. Ob eine Gedichtzeile in einen Bibelvers umgelegt, Film- oder Buchtitel assoziiert, Jugendsprache neu erfunden oder Promis mit Versen in Verbindung gebracht werden sollen – mit Spaß an der Sprache kommt bei Fliegende Zeilen jeder auf seine Kosten, der Büchernarr und der Filmliebhaber, der Computermensch und der Super-Verkäufer. Innovation und Kreativität stehen im Vordergrund – und das alles auf Zeit. Schnelligkeit ist gefragt, kein ausgefeiltes Gedicht.
Und dabei bleibt das Spiel offen für weitere Entwicklungen. Etwa ein paar Fragekarten, mit denen Fliegende Zeilen auch Grundschultauglich wird, können einfach selbst ergänzt werden. Wobei Fragen nach Film und Musiktiteln auch Sechsjährige schon mit Leichtigkeit beantworten können. Einzige Vorgabe: Lesen und Schreiben muss bereits gelernt sein, um Fragekarten und Verszeilen vorlesen zu können, und eigene Wörter auf den Notizblock bringen zu können. Offen bleibt das Spiel auch bei der Dauer. Die Spieler selbst legen am Anfang die Rundenanzahl fest und entscheiden so, ob sie etwa 20 Minuten (5 Runden) oder doch länger spielen wollen. In gemütlicher Runde am Abend mit Freunden kann das Spiel so Teil eines Spieleabends werden und die Kopfmenschen erfreuen, ohne die weniger textaffinen Mitspieler ernsthaft zu langweilen.
Für mich ist Fliegende Zeilen das Spiel des Jahres! Das Einzige, was mir zu meinem Glück noch fehlt, sind begeisterte Mitspieler, denn mein sechsjähriger Sohn übt noch das P, mein Mann ist eher kein Wortakrobat und nur schwer zum Spielen zu überreden (generell). Doch ich kann euch versichern, auch alleine macht das Spiel noch Spaß. Einfach ein, zwei Aufgaben erledigen, schon hat der Kopf mal wieder gearbeitet und die Kreativität blitzt. Ich bin begeistert und kann die nächste Runde kaum abwarten. Vielleicht muss ich ja dann einen politischen Skandal aus „Der Nebel steigt, es fällt das Laub“ (Theodor Storm) machen oder aus „in Deutschland ist jetzt Kuchenzeit“ (Elisabete P. Ferreira Köninger) einen Titel für eine Doktorarbeit verfassen. Da sprüht der Geist, das arbeitet der Kopf und Spaß, Spaß gibt es im Überfluss, denn die Ergebnisse sind vielleicht nicht druckreif, aber immer für eine Überraschung gut.

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