Die Klavierspielerin – Elfriede Jelinek

Ein Buch, in dem Musik präsent ist, sollte es sein für die Hauptaufgabe von Einmal durchs Regal und auf meinem Lesestapel thronte Die Klavierspielerin von Elfriede Jelinek. Eine leichte Entscheidung also, die mich die 335 Seiten des Romans hat verschlingen lassen. Immerhin wusste ich um Jelineks Stil und war gespannt, wie sich diese Wortakrobatik in einem Roman niederschlägt.
Erika ist Pianistin mit Leib und Seele, aber nicht aus freien Stücken, sondern weil ihre vereinnahmende Mutter sie immer dazu gedrängt hat, sie dazu auserkoren hat, weil sie, wie alle Mütter, wusste, dass ihr Kind absolut einmalig ist. Nur ganz funktioniert hat es mit Erikas Karriere nicht. Statt Starpianistin ist sie Klavierlehrerin. Mit der Mutter teil sie alles, Wohnung, Bett und Freizeit. Es gibt kein ICH für Erika, dafür sorgt ihre Mutter immer wieder, zerschneidet die teuren Kleider der Tochter, die diese unerlaubt kauft und doch nie trägt, denn die Mutter entscheidet natürlich, was getragen wird. Kein Muttersöhnchen, vielmehr ein Töchterchen ist Erika, längst erwachsen und doch noch Kind. Besonderen Einfluss hat das auf ihre Sexualität, die unterentwickelt ist. Erika sucht Lust, sucht erotische Erfahrung, sucht Begehren und findet nichts. In Angst und Schmerzen erfährt sie Sinnlichkeit und hofft, hier Lust zu erfahren.
Das Buch ist beeindruckend. Es spielt mit alltäglichen Erfahrungen des Erwachsenwerdens, übertragen auf eine Frau um die 40. Lächerlich wirkt das und doch so realistisch, dass es Gänsehaut erzeugt. Erika will aus dem mütterlichen Gefängnis gar nicht mehr heraus, jeder Versuch auszubrechen, wird zurück genommen. Liebe und Hass, Nähe und Gewalt, die Mutter-Tochter-Beziehung ist widersprüchlich wie einleuchtend. Brutal wird Erika gegenüber sich selbst, körperlich wie seelisch. Von der Mutter zum ewigen Kind entsexualisiert, ist der Mann für sie Zerstörer und Hoffnungsträger zugleich. Nur sich selbst kann sie nicht fassen, sie hat keine Identität, ist sich fremd.
Die Sprache dabei ist wie immer genial. Jelinek spielt mit Worten, ohne zu spielerisch zu werden. Die setzt kunstvoll Worte aneinander, zaubert Analogien hervor und Metaphern, die erst auf den zweiten Blick welche sind. Kein Buchstabe ist zufällig gesetzt. Sie ist eine Meisterin ihrer Sache, was den ein oder anderen abschrecken mag. Vor allzu großem hat der Mensch bisweilen Angst.
Und das Buch schwankt auch zwischen Neugierde, Handlung, Innensicht und Rückblenden. Erikas Rasierklinge will Blut sehen, Kindheitserfahrungen werden Abbilder der Gegenwart und anders herum. Ein Meisterwerk ist dieses Buch gerade deshalb. Aber keine leichte Kost.

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