Die Blechtrommel – Günter Grass

Was ist zu diesem Roman der Weltliteratur nicht schon alles gesagt wurden? Viel, sehr viel. Darum will ich mich hier zurückhalten, und etwas aufzeigen, dass selten beachtet wurde. Immerhin hab ich selbiges auch zum Thema meiner Master-Arbeit gemacht, für die ich die 816 Seiten von Günter Grass‘ Die Blechtrommel gelesen habe.
Erzählt wird die Geschichte von Oskar Matzeratz, der selbst als Erzähler auftritt. Als Dreijähriger hat er sich entschieden, nicht mehr zu wachsen. Stattdessen beobachtet er aus der Froschperspektive die Welt, die sich dem Nationalsozialismus zuwendet, die Mitläufer und kleinen Täter, die alle ihren Teil beitragen. Erst am Grab seines Vaters beginnt er wieder zu wachsen, unproportioniert aber, sodass er zum verunstalteten Gnom wird. So erfährt er die Nachkriegszeit und den Wiederaufbau, bis er in eine Nervenheilanstalt eingewiesen wird.
Oskar ist eine Legende. Die kindliche Naivität seine eigene Person betreffend legt er nie ab. Und gleichzeitig verurteilt er rückblickend noch vor seiner Geburt. Seine Geschichte beginnt dabei nicht etwa dort, wo er geboren wird, sondern dort, wo seine Mutter gezeugt wird. Überhaupt spielen die Mütter in Oskars Leben eine entscheidende Rolle. Ich habe sie zum Thema meiner Masterarbeit gemacht. Sei begleiten Oskar stets, wirken noch auf ihn ein, als seine Mutter gestorben, seine Großmutter zurückgelassen und seine Stiefmutter ihn wiederholt abgewiesen hat. Oskar, das wird schnell klar, hat einen Mutterkomplex, wünscht sich zurück in die embryonale Kopflage, in den Leib seiner Mutter. Inzestphantasien werden im Rock der Großmutter, unter den Oskar krabbeln und im Sex mit der zukünftigen Stiefmutter deutlich, vor allem aber in der stetigen Verehrung der Krankenschwester, die stets als Symbol für die eigene Mutter stehen. Immerhin ist es diese Anbetung, die ihn letztlich ins Krankenbett bringt, dass wieder mit dem schützenden Mutterleib zu vergleichen ist.
Wo man hinschaut, findet man in diesem Roman Mutterfiguren. Nicht ohne Grund, war doch die Mutter eine von den Nationalsozialisten als Kriegshelferin inszenierte Figur. Kinder für das Volk sollte sie gebären. Die Frau wurde reduziert und die Mutter als öffentliche Institution verehrt. Ein Anspruch, dem kein Mensch wirklich gerecht werden kann. So scheitert auch Oskars Mutter an der Forderung, sich selbst zurückzunehmen und allein für das Kind zu existieren. Aus dem Zwiespalt zwischen Mann und Geliebten, zwischen Sohn und Männern, zwischen Sexualität und entsexualisierter Mutterschaft wird Zerrissenheit, eine selbst angegessene Fischvergiftung verhilft ihr ins Grab. Die Vorkriegsmutter, die natürliche, erdverbundene Großmutter wird zurückgelassen, für sie ist kein Platz mehr. Allein die angepasste Stiefmutter Maria, die Mutter ist, aber keine Persönlichkeit mehr zeigt, sobald sie dazu geworden ist, überlebt, besteht weiter. Das Erbe der Frauen und der Mütter, das wir noch heute tragen.
Ich halte Die Blechtrommel immer noch für einen sehr guten Roman, der auch heute seinen Teil an der Aufklärung des Schreckens des Nationalsozialismus hat. Leicht zu lesen wird er dadurch nicht. Oskar ist Held, wie Antiheld, die Geschichte fesselnd wie abstoßend. Gerade durch diese Ambivalenz, die sich auch in den Mutterfiguren fortsetzt, wird der Roman zur großen Literatur, der trotz seines unglaubwürdigen Erzählers glaubhafter ist, als manch Geschichtsbuch.

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