Das Geheimnis des Kalligraphen – Rafik Schami

Als es bei der März-Zusatzaufgabe von Einmal durchs Regal darum ging, ein geschenktes Buch zu lesen, war meine Wahl gar nicht so leicht zu treffen. Ich lasse mir immer wieder gerne Bücher schenken, wenn ich gefragt werde, was ich mir wünsche, und dann ist die Zeit knapp. Für Schamis Das Geheimnis des Kalligraphen habe ich mich trotzdem schnelle entschieden. Schami ist ein Meister des Geschichtenerzählens, lässt seine Leser eintauchen, ohne pathetisch zu sein und 549 Seiten drücken mein Seiten-Konto einfach nochmal nett nach oben.

Das Geheimnis des Kalligraphen erzählt die Geschichten vom Christen Salman, der über Umwege und Manipulation zum berühmten Kalligraphen Hamid Farsi kommt, von Hamids Frau Nura, die gerne liest und schneidert, aber in eine Ehe mit einem Mann gezwungen wird, der allein für die Schrift liebt, von der Liebe zwischen Salman und der Muslima Nura und ihrer gemeinsamen, geheimen Flucht, vom Frauenheld Nassri, dem die Schuld an Nuras Flucht gegeben wird, und von Farsi selbst, der die arabische Schrift liebt und sie verbessern will, was für viele Konservative einem Gottesverrat gleichkommt.

Schami erzählt seine Geschichte nicht von Anfang bis Ende. Er teilt sie auf, vermischt sie, fügt sie zusammen. Mal überspringt er einen Teil, man nimmt er vorweg und erzählt manches erst später. Der Erzähler begleitet personal mal Nura, mal Salman, Nassri und Hamid, aber auch die anderen Nebenfiguren wie Nuras Eltern, den Café Besitzer Kaman, und und und. Tatsächlich versteckt sich hinter der personalen Erzählweise ein auktorialer Erzähler, der den Ausgaben der Geschichte kennte, die Hintergründe, die Geheimnisse und Gefühle. Und der Leser taucht hinein in dieses Meer von Geschichten, die alle zusammenhängen und sich verbinden.

Aufgeteilt ist das Buch damit in Gerüchte und die Wahrheiten, die dahinter liegen. „Der erste Kern der Wahrheit“ ist dabei der längste Teil und meiner Meinung nach auch der beste. Hier kommen alle zu Wort und das Universum des Buches zeigt sich in seiner ganzen Pracht. Damaskus steht aus den Buchstaben auf. Dabei zeugt die Beschreibung von der Verliebtheit zu Damaskus, wie der Ernüchterung durch die Probleme der Welt. Die verschiedenen Religionen werden mit ihren Problemen gezeigt, ohne dass der Erzähler für einen Glauben Partei ergreifen würde. Viel mehr ist die Gemeinsamkeit der Religionen und Kulturen, das Miteinander der Menschen und die Liebe dazwischen das Entscheidende. Die Schlüsselbeziehungen sind stets die zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen. Und das episodenhafte Erzählen der einzelnen Handlungsstränge ist wunderbar ausgearbeitet. Gerade, wenn eine Figur vermisst wird, taucht sie auf der nächsten Seite auf.

Problematisch wird es dagegen beim zweiten Kern der Wahrheit, in dem Hamid seine Fehler und die Anzeichen für die Verschwörung gegen ihn erkennt, ohne das ganze Ausmaß ergründen zu können. Da hier nur aus Hamids Sicht erzählt wird und die Situation im Gefängnis mehr den Rahmen als der Aufdeckung des Hintergrundes dient, ist hier oft Schema F angewandt. Hamid sitzt im Gefängnis, schaut sich seine Erinnerungsstücke an und erinnert sich. Spätestens beim dritten Blick mit der Lupe auf ein Photo verliert die Situation an Spannung und dem Vermögen, zu fesseln. Die angehängten Informationen zur arabischen Schrift und die Wiederholung von Ibn Muqlas Geschichte, dem „Leonardo da Vinci der arabischen Kalligraphie“, sind interessant, wirken hier aber etwas fehl am Platz. Ich hätte sie zur Information eher vor die Geschichte gesetzt.

Ich finde das Buch dennoch sehr gut. Es liest sich flüssig und leicht, wie eine Geschichte, die erzählt wird. Der Leser bringt Eigenleistung ein, die Verschwörungen zu entwirren und die Erzählstränge zusammenzufügen, aber nicht zu viel, sodass er sich noch am Lesen erfreuen kann. Richtung und Falsch, Gut und Böse wird gegeneinander abgewogen, ohne dass eines als Sieger hervorgeht. Vielmehr steht am Ende die Erkenntnis, dass Talent nicht reicht, die Welt zu verändern, dass Liebe Hürden überwinden kann, dass jede Medaille zwei Seiten hat und jede Geschichte verschiedene Blickwinkel.

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