Bereits der erste Sonnenstrahl musste sich durch den Nebel kämpfen. Weiß und eisig hing die Nässe in den dürren, blattlosen Ästen am Ende des Gartens. Es duftete nach Schnee, verheißungsvoll, frisch und süß, ohne dass eine einzige Flocke gefallen war.

Einer trägen Flüssigkeit gleich schmolz der Nebel um das Haus, hängte sich vor die Fenster. Schemenhaft zeichnete sich das Nachbarhaus dahinter ab, das Auto in der Einfahrt, die Schaukel auf dem Rasen. Sie hätte hineingreifen und die frostige Watte packen können.

Die Stadt lag im Moor. Das Schulhaus senkte sich jedes Jahr für einige Millimeter, noch stärker, seit ein weiteres Geschoß angebaut worden war, damals, vor mehr als zehn Jahren, als sie selbst zur Schule ging. Die Pfade im Wald vermatschten schon bei leichter Nässe in undurchdringliche Sümpfe. Der Nebel war ein alter Bekannter.

Regelmäßig hüllte er die ganze Stadt ein. Die Autofahrer mussten durch die weiße Wand fahren wie durch einen Vorhang, hinter dem die Nebelscheinwerfer ungenügend waren. Die Motoren brummte laut, wenn die eilig reißenden hinunterdrosselten, ohne die Gangschaltung zu beachten. Das Schreien der Krähen im Winter wurde von der tiefen Wolke getragen und hallte durch alle Straßen. Nebelkrähen. Nimmermehr.

Sie liebte den Nebel. Die Umwelt verschwamm zu Ansätzen und Andeutungen. „Nichts ist wahr“, ging es ihr durch den Kopf. Einer Festung gleich trotze das Haus dem Verschleiern. Undurchdringbar wurde die Suppe im Garten, ein eisiger Dampf, doch im Innern des Hauses lagen die Spielsachen der Kinder klar und deutlich in den Zimmern, die Wohnzimmerregale zeigten ihre markanten Konturen und ihr Spiegelbild war ebenso klar, wie am Abend zuvor.

Bald hatte sie das Gefühl, es gäbe nur noch sie. Der Nebel hatte alles eingenommen, alles, was draußen war. Hatte die Wege verhüllt, die Häuser verschwinden lassen, die Geräusche aufgenommen und die Farben entlassen. Es gab nur noch sie in diesen Räumen. Still schlich sie über den Wohnzimmerboden und lauschte der Stille. Das große Nichts stach ihr entgegen, in der Geräuschlosigkeit und dem weißen Nebel des Wintertages.

Und wenn sie sich jetzt auch auflöste?

Das quietschende Geräusch der Terrassentür bohrte sich in ihre Ohren und im nächsten Moment war sie nach draußen gehuscht. Die feuchte Luft tauchte unter ihr dünnes Oberteil und kitzelte ihre Haut. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen, schloss die Augen. Es war fester Boden unter ihren Füßen. Ihre Socken nahmen bereitwillig die Nässe des Grases auf, die Kälte des Raureifes. Allgegenwärtig war das Gefühl. Die Wolke durchdrang ihre Kleider, tränkte sie mit Winterluft, eisig, beschlagen, klamm.

Sie öffnete die Augen und sah das Haus nicht mehr. Unter ihr lag plattes, weißliches Gras, doch der Nebel hatte sie verschluckt, die Sicht auf Schaukel oder Haus genommen. Wo war sie nun? Es ängstigte sie nicht und das beunruhigte sie viel mehr. Sie konnte die Heimat fühlen, unter ihr, neben ihr, um sie. Der Nebel war es, der Nebel war Heimat geworden, hatte Schaukel und Bäume und Haus in sich aufgenommen, so wie auch sie selbst.

An ihrer Nase formte sich ein Tropfen, ausgetreten aus der dicken Luft, die weiß und schwer vor ihr stand, dankbar über eine Form, an der er perlen konnte. Sie spürte ihm nach. Wie er sich sammelte, schwerer wurde, das winzige Gewicht an ihrer Nasenspitze, den leichten Drang nach unten, zum Fallen, die kurze Erlösung, als er nachgab, herabsprang, der Erde entgegen. Dann nichts mehr. Kein Platschen, kein Aufprall, die Ewigkeit im Fallen.

Die Gänsehaut hatte ihre Wangen erreicht und das Lächeln selbst kitzele sie. Mit einem tiefen Atemzug sog sie die Nebelluft in sich auf, genoss die Heimat in ihren Zellen und schloss wieder die Augen. Ohne sie zu öffnen, ging sie ein paar Schritte und blinzelte erst dann, öffnete die Terrassentür wieder und ging hinein, um zu duschen. Heiß. Nebel zu Nebel. Wasser zu Wasser.

©Eva-Maria Obermann

Manchmal gibt es eben diese Momente, die einfach inspirieren. Ein Blick aus dem Fenster genügt und die Worte fließen. Vielleicht hat es euch gefallen. Heute könnt ihr bei mir wieder zwei der tollen Magnete vom Klartext Verlag gewinnen. Schreibt mir einfach an was ihr bei Nebel denken müsst in einem Kommentar.

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6 Kommentare

  1. Huhu,

    nun Nebel hat immer etwas unheimliches für mich. Auch wenn ich weiß, dass wenn der Morgennebel vorbei ist..es einen meist wunderschönen Tag gibt…

  2. Nebel…. den haben wir hier oft, weil ein Fluss durch unser (Werra-)Tal fließt und eine Papierfabrik (sehr viel Dampf) hier angesiedelt ist.
    Ringsherum die Berge des Thüringer Waldes und der Rhön.
    …. da wallen die Nebel oder ziehen Nebelschwaden.
    Eigentümliche Gedanken kommen da schon, vor allem wenn es noch etwas duster ist. Man kann dann die Häuser und Straßen oder den Wald nur noch erahnen.

    Meine kleine Enkelin (26 Monate):“Oma, da kommen die Geister gefliegt und setzen sich in die Haare…. Dann sind wir nass.“

    Wir hatten ihr eine einfache Erklärung für den Nebel gegeben, dass er auch wie der Regen aus feinen Wassertröpfchen besteht und feucht ist…. Schlussfolgernd… ihre Antwort oben.

    Ich mag den Nebel nicht sonderlich,vor allem weil ich oft mit dem RAd zur Arbeit fahre und er mir die Sicht nimmt. Dann denke ich oft, hoffentlich steht keiner hinter irgendeinem Baum oder Busch, weil ich es erst zu spät sehe. Oder auch die Gefahr von einem Auto (trotz vorwiegend Radweg) übersehen zu werden.

    Deine Geschichte zum Nebel drückt voll und ganz meine eigenen Empfindungen aus.
    Danke!
    LG Rose

    PS.
    Post ist angekommen! Danke!!!1!

  3. Für mich ist Nebel immer etwas mysteriös und einfach oft mit der Dämmerung verbunden.

  4. Hallo zusammen,
    da muss ich unterscheiden:
    Ich mag den Nebel am Morgen, wenn er über den Wiesen und Feldern liegt, die Welt einhüllt und dann langsam die Sonne aufgeht und alles glitzert und strahlt.
    Der Nebel in der Dunkelheit ist unheimlich, mysteriös, beängstigend.
    Einen schönen Abend noch.
    Gruß Verena

  5. Hi Eva, ich lese den Artikel hier leider heute erst, aber er hat mir trotz allem sehr sehr gut gefallen. Ich kann das Gefühl, das du beschreibst, nur allzu gut nach fühlen. 🙂

    1. Liebe Sylvia. Vielen Dank für das Lob aus deinem Mund.

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